Selma Gültoprak — Terminal, Terminal
TERMINAL, TERMINAL
Selma Gültoprak4. Dezember 2022 bis 12. Februar 2023
Längst hat das Reisen auf dem Luftweg an Glamour, aber auch an Unbeschwertheit verloren. Galten Flugreisen in der Concorde noch in den Neunzigern als Inbegriff von Luxus und Symbol einer internationalen Jet Set-Elite, so macht sich heute – zumindest in der Economy Class – Flugscham breit. Fliegen ist bekanntlich die klimaschädlichste Art der Fortbewegung. Rund eine Milliarde Tonnen CO2 werden jährlich allein durch kommerzielle Flugzeuge ausgestoßen. Nicht alle diese Flüge werden freiwillig angegangen, Deutschland schob 2021 mehr als 5000 Menschen per Flugzeug in „sichere Herkunftsländer“ ab. Und nicht alle Flüge enden mit einer sicheren Landung.
Die von Selma Gültoprak eigens für die Kunst-Station Sankt Peter entwickelte Installation Terminal, Terminal bleibt bewusst und sinnbildlich auf dem Boden. Im Mittelschiff der Kirche trägt sie tausende individuelle Flugtickets und Bordkarten zusammen. Die originalgetreu nachgebildeten Dokumente zeugen von Urlaubstrips im Billigflieger, Reisen in der First Class, interkontinentalen Langstrecken – und historischen Ereignissen, die Teil des kollektiven Gedächtnisses wurden, wie die Terroranschlägen vom 11. September 2001. Jedes dieser Tickets stellt ein persönliches Schicksal dar: etwa das der 298 Passagiere des Malaysia Airlines Flug MH17, der 2014 über der Ostukraine von russischen Streitkräften abgeschossen wurde. Oder das der 21-jährigen Elin Ersson, die sich 2018 weigerte, ihren Platz auf dem Flug von Gothenburg in die Türkei einzunehmen, um die Abschiebung von Asylsuchenden nach Afghanistan zu verhindern. Sie erzählen von Abstürzen, Suiziden von Pilot*innen und anderen Katastrophen, aber auch von Rekord-Vielfliegern wie K. Ullas Kamath aus Indien und Fluggesellschaften wie Virgin Atlantic Airlines, deren Crew-Mitglieder die Uniform tragen dürfen, die ihrer Geschlechtsidentität am besten entspricht.
In minutiöser Recherchearbeit hat die Kölner Künstlerin, die in ihren Interventionen im öffentlichen Raum, Collagen und Installationen gesellschaftliche Fragestellungen kritisch und tiefgehend erforscht, diese Einzelschicksale und Bordkartendesigns zusammengetragen und präsentiert sie in Sankt Peter als große Bodenarbeit in Form des populären Batman-Symbols. Mit dem aus den DC Comics bekannten Notsignal trifft im Kirchenraum nicht nur das Profane unmittelbar auf das Sakrale, Fiktives auf Reales. Vielmehr verweist Selma Gültoprak auf Macht und Ohnmacht innerhalb unseres Systems, das von Kapital und Privilegien bestimmt ist. Seine Überlegenheit verdankt der über Gotham City wachende Bruce Wayne keinesfalls übermenschlichen Superkräften, sondern technischen Innovationen und der Finanzkraft seines Familienunternehmens Wayne Enterprises, das u. a. in der Waffen-, Öl- und Pharmaindustrie Milliardengewinne macht. Wie auch bei real existierenden und als Weltraumtouristen bekannten Milliardären wie Elon Musk und dem Virgin-Gründer Richard Branson verwischen die Grenzen zwischen Personenkult, Philanthropie und Größenwahn.
Die Geschichte des iranischen Flüchtlings Mehran Karimi Nasseri, der achtzehn Jahre bis zu seinem Tod im November 2022 ohne gültige Papiere im Terminal 1 des Paris Flughafens Charles de Gaulle lebte, war für Selma Gültoprak Ausgangspunkt für eine weitere Arbeit aus Flugzeugdecken, wie sie auf Langstreckenflügen verteilt werden. Während für die meisten von uns das Flughafenterminal den Ausgangspunkt einer Reise in Urlaubsdestinationen oder zu Businessmeetings darstellt, wurde es für den Gestrandeten „Sir, Alfred“ wie für viele andere zur Endstation.
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Selma GültoprakSelma Gültopraks (*1983 in Gummersbach, lebt in Köln) recherchebasierte Praxis widmet sich inklusiven Orten, gesellschaftlichen Phänomenen und historischen Narrativen und nimmt Form an in Objekten sowie raumspezifischen Installationen.
Selma Gültopraks Arbeiten wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, darunter bei MARTINETZ in Köln (2021 und 2019), Kunstkommission Düsseldorf – Kunst im öffentlichen Raum in Düsseldorf (2020/21), Kunsthaus NRW Kornelimünster in Aachen (2021), in der artothek in Köln (2018) und sind in öffentlichen Sammlungen in NRW vertreten. Seit dem Jahr 2014 hat sie unterschiedlichste Stipendien, Preise und ausgezeichnete und geförderte Auslandsaufenthalte im Rahmen ihrer Arbeit erhalten.
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Zur Eröffnung der Ausstellung
TERMINAL, TERMINAL von Selma Gültoprak
am Sonntag, 4. Dezember 2022 um 15 Uhr
laden wir herzlich ein.
Begrüßung: Guido Schlimbach, Künstlerischer Leiter Kunst-Station Sankt Peter Köln
Einführung: Anne Mager, Kuratorin der Ausstellung
Musik von Michael Veltman
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Weitere Termine:Sonntag 18. Dezember 2022, 13.15 Uhr
Werkgespräch mit Kai Kullen
Sonntag, 8. Januar 2023, 13.15 Uhr
Werkgespräch mit Guido Schlimbach
Sonntag, 22. Januar 2023, 13.15 Uhr
Werkgespräch mit Stephan Kessler SJ
Sonntag, 5. Februar 2023, 13.15 Uhr
Werkgespräch mit Friederike Schuler
Sonntag, 12. Februar 2023, 13.15 Uhr
Finissage und Werkgespräch mit Anne Mager
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